Architekturkritik

Warum kommt die zeitgenössische Architektur nicht gut an in der Öffentlichkeit?

kisteAus welchen Gründen auch immer – die meisten Geschossbauten bekommen keine Dächer mehr. Die preiswerten kantigen oberen Abschlüsse vermitteln nur selten irgendeinen Charme. Entwickler freuen sich über “ein Geschoss mehr” oder bei einem Rücksprung über edle Dachlofts mit Terrasse. Die Gebäude stehen jedoch als “Kisten” da. Aus der Architektur von Jahrhunderten, schöne Dachabschlüsse zu kreieren, ist heute die Blechabdeckung übrig geblieben. Ein Armutszeugnis. Manchen Bauwerken kann man das Attribut “Haus” absprechen, weil es sich nur um eine Aufstapelung von Geschossflächen handelt.
Warum spendiert man den Stadthäusern nicht wenigstens in Teilbereichen Dächer, z.B. in Steildachform in der Mischung mit Staffelgeschossen und leichten Flugdächern?

1211Loggien verschwinden in der Fassade und werden zu tiefen dunklen Löchern. Das mag einem gewissen Ordnungsansatz entsprechen – die Fassade ist glatt und homogen. Für die Bewohner ist das ärgerlich, denn man möchte ja möglichst “draußen” sein und nicht zwischen Wänden. Zudem vergrößert sich die Außenwandfläche unnötig, was energetisch ungünstig ist. Echte Balkone oder weniger tiefe Loggien mit einem Balkonanteil sind oft die bessere Lösung.

P1090658Die Erdgeschosse sind oft eine sterile Nutzungsmischung aus Tiefgarageneinfahrten, Technik/Müllräumen usw.
Damit entstehen keine urbanen Räume in der Stadt. Meist überwiegt das Ruhebedürfnis und Versprechen nach Exklusivität der Möglichkeit, mit einer Laden- oder gar Gastronomieeinheit öffentliche Angebote zu schaffen.
Erdgeschosszonen gehören eigentlich auch gestalterisch von der Regelfassade abgesetzt.

blockStädtische Ecken sind ein wichtiger Bereich der Gestaltung. Hier kann man Akzente setzen, sollte sich jedoch bewußt sein, dass Ecken einen wesentlichen Einfluss auf die Belichtungssituation und gefühlte Weitläufigkeit haben. Leider missbrauchen viele Architekten und Bauherren Eckbetonungen zur übermäßigen Selbstdarstellung.
Abgeschrägte Eckausblidungen werden in den  gründerzeitlichen Stadtteilen als urban empfunden. Es spricht kaum etwas dagegen, belebte Ecken schräg auszubilden – der Verlust an Wohnfläche ist marginal, der Gewinn für die Öffentlichkeit und Akzeptanz jedoch groß.

P1090673Schlechte Architektur führt zu sozialen Spannungen. Viele können sich die “modernen” Bauten nicht nur nicht leisten, sondern müssen diese auch tagtäglich in ihrem Lebensumfeld ertragen.
Es ist in höchstem Maße ärgerlich, dass der aktuelle Bauboom derart viele städtische Räume mit unsensiblen Bauten für immer belegt. Hier ist eine wichtige Diskussion verpasst worden.

Meine Architekturimpulse sollen einen Beitrag zum Umdenken leisten. Ich bin fest davon überzeugt, dass man auch heute noch urbane Räume schaffen kann. Man muss es nur wollen. Ein Artikel der Zeit “Es ist zum Klotzen – gleich wieder abreißen “ bringt die Problematik auf den Punkt.

beton

Zudem sollte der exzessive Einsatz von Beton im Geschosswohnungsbau aufhören. Man sollte im Mauerwerksbau wohnen dürfen, es gibt viele Gründe gegen den Betonbau. Dass Mauerwerksbau sinnvoll und möglich ist und welche weiteren bauphysikalischen Fragestellungen relevant erscheinen – dazu unter ÖkoBau mehr.
Bild rechts: Während die Wand aus rotem Ziegelmauerwerk fertiggestellt ist und verputzt werden kann, muss die Betonwand noch aufwendig gedämmt und spezialverputzt werden. Es entstehen höhere Kosten, Bauzeitverlängerungen und ökologisch bedenkliche Baustoffmischungen, die häufig saniert werden müssen.

Hauptsächlich fehlen den Neubauten Dachabschlüsse, die als Steildächer mit Gauben in Kombination mit Staffelbereichen, die mit leichten Krag- oder Flugdächern einen Gruß in die Stadt senden, der den Klötzen mit Blechkante oben komplett fehlt. Ohne Dachabschluss ist das kein Haus, sondern nur ein Gebäude.

Wie ein beispielhaftes Stadthaus aussehen könnte, habe ich im Rahmen einer Archicad-Weiterbildung aufgezeigt. Als Abschlussarbeit ist “nebenbei” eine Vision “Gemeinwohlbau” (GEWOBAU) entstanden, die allerdings nicht ganz fertiggestellt ist. Die Formensprache entsteht von innen her, jedoch findet auch eine Anlehnung an den Gestaltungswillen der Projekte der Berliner 90er Jahre statt. Damals war die Postmoderne noch nicht ausgemerzt, es entstanden schmucke Ergänzungen, die sich gut einfügten. Seit der Jahrtausendwende gibt es den Gestaltungswillen zum Großteil leider nicht mehr.

ZITATE / FUNDSTÜCKE

Bauhaus-Manifest 1919
Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau! Ihn zu schmücken war einst die vornehmste Aufgabe der bildenden Künste, sie waren unablösliche Bestandteile der großen Baukunst. Heute stehen sie in selbstgenügsamer Eigenheit, aus der sie erst wieder erlöst werden können durch bewußtes Mit- und Ineinanderwirken aller Werkleute untereinander. Architekten, Maler und Bildhauer müssen die vielgliedrige Gestalt des Baues in seiner Gesamtheit und in seinen Teilen wieder kennen und begreifen lernen, dann werden sich von selbst ihre Werke wieder mit architektonischem Geiste füllen, den sie in der Salonkunst verloren. (…)
Walter Gropius

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Zur Formensprache
“Es wird allzu oft argumentiert, dass die “moderne” (minimalistisch-kubistische) Kunst/Architektur politisch sei im Sinne von emanzipativ, weil/wenn sie sich auflehnt gegen “hergebrachte” Denkmuster etc. Hier folgt oft die Behauptung, dass Kunst “aufrütteln” solle. Professionelle statistische Untersuchungen des Instituts für empirische Ästhetikforschung der ETH Zürich belegen jedoch, dass die breite Mehrheit der Bevölkerung klassische Formensprachen den kubistischen-minimalistischen Formen eindeutig vorziehen. Man muss sie nicht im Detail intellektuell verstehen und herleiten können, da auch Ungeschulte sie einfach sinnlich wahrnehmen und spüren können. Die große Ironie ist, dass es nur eine Bevölkerungsgruppe gibt, bei denen deutlich abweichende Wahrnehmungen gemessen worden sind und diese Gruppe ist – surprise – die der Architekten!” (Michael Kreutzer, facebook)

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Eine Kritik am aktuellen Baugeschehen

Aus der Gründungserklärung des Bund kritischer Architekten 1999:
“Die Architektur, die Einheit der technischen und künstlerischen Belange in der Baukunst – auch die „Mutter aller Künste“ genannt – ist heute ferner denn je, als etwas Kunstvolles betrachtet zu werden. In der öffentlichen Meinung gilt der Architekt nicht mehr als begabter Baumeister, es setzt sich vielmehr Angesichts seiner wahrnehmbaren Leistungen das Bild eines „Kurpfuschers“ durch, als der verzichtbarste Teil im Baugeschehen überhaupt, als gewissenloser Vollstrecker nicht zu stillender Gewinn- und Machtsüchteleien einer Finanzkaste, die sich selber gerne als Leistungsträger sieht, grundsätzlich aber andere für sich arbeiten läßt, der Bauherr, moderner: Investor.
Zwar werden die Namen einiger Architekten medial namenhaft gemacht und sind fortan die großen Baumeister unserer Zeit – jedoch basiert ihre Geltung meist auf einem quasi neoabsolutistischen Baustil. Wer viel riskiert, kommt hoch hinaus, der Tabubruch ist quasi vorgeschrieben. Gute Architektur ist die, die sich rechnet und Erfurcht erzeugt. Die neue Sterilität hält Einzug und unterstützt eine gesellschaftliche Wandelungsbewegung. Der Zeitgeist des “wir-sind-wieder-wer” schüttelt auch in der Architektur eine aus den negativen Erfahrungen preussischer und großdeutscher Gigantomanie erzwungenen jahrzehntelangen Bescheidenheit locker ab. Um die ruhigen Vertreter des less is more-Bewußtseins ist es still geworden. Architekturtheorie wird heute zumeist durch eine völlige Überbewertung energie- und haustechnischer Sachzwänge ersetzt. Dabei wird mit einem enormen, durch Energieeinsparungen meist nicht mehr zu amotisierenden Aufwand auf Kosten der Wohnqualität gedämmt und verpackt, anderseits aber im Konsumbereich der Energieverschwendung gehuldigt: Was heute neu ist, ist morgen schon wieder veraltet.
Fragen tun sich auf: Muß die Architektur wirklich den Zeitgeist widerspiegeln, um zeitgemäß zu sein? Sollte schlechter Geschmack künftig bestraft werden und wenn ja, wie? Wo geht sie hin, die Architektur und wo kommt sie zukünftig her? Was muß getan werden, damit Architektur in der Diktatur des Kapitals wieder Allgemeinwohl wird?”