Das RAW-Ensemble ist ein unverzichtbarer Bestandteil der sozialen Infrastruktur im Bezirk und ein Kulturort mit internationaler Ausstrahlung. In Eigenregie der Projekte haben sich faszinierende Räume entwickelt. Das Gesamtkunstwerk RAW ist jedoch akut bedroht. Die geplante Mega-City mit rund 180.000 m² Neubaufläche und mehreren Hochhäusern vernichtet die RAW-Kiezkultur und wird einen enormen Gentrifizierungsschub in den Bezirksteil ausstrahlen. Das Gesicht des Friedrichshainer Südkiezes wird sich wandeln – die bisherige Schmuddelecke wird zur Top-Adresse der Immobilienbranche. Der Verdrängungsdruck wird rasant steigen.
Die aktuellen Planungen missachten die besonderen räumlichen Qualitäten des Ensembles und seiner Nutzungen. In den West-Mitte-Ost-Ausschnitten des Ergebnisses des Planungsverfahrens 2018 (“Dialogwerkstätten”) sind in hellblau die Neubaupotentiale aufgeführt (Darstellung: Urban Catalyst). Vom RAW, wie man es heute kennt, würde nicht viel übrig bleiben. Bis auf einen Kernbereich wird alles abgerissen, kostbare Freiflächenpotentiale werden vollständig bebaut und verbleibende Nutzungen verlieren zwischen den Neubaublocks ihren Charme. Es ist anzunehmen, dass von den heutigen Projekten nach mehrjähriger Großbaustelle und zwischen den Neubaublocks nicht viel übrig bleiben wird. Dass sich der Bezirk dem Druck der Eigentümer beugt, großzügiges Baurecht zu vergeben im Tausch gegen den Bestandsschutz der verbleibenden Projekte, wird sich im Resultat als großer Fehler erweisen. Operation gelungen – Patient zwischenzeitlich verstorben.
Ich sehe eine derartige Verbauung als historischen Fehler, der Berlin schaden wird. Die Stadt wird um einen Freiraum und eine Attraktion ärmer. Das RAW ist weit mehr als ein Techno-Strich-Ballermann. Alte Bahngelände als industrielle Kulturlandschaften in ihrer Eigenart zu erhalten und gemischt zu nutzen ist nichts neues und wird in vielen Städte mit Erfolg praktiziert. Büroflächen entstehen momentan rund um die benachbarte Mercedes-Benz-Arena in ausreichendem Maße.
Die aktuellen Planungen, die aus einem eigentümerdominierten „Dialogverfahren“ heraus entstanden sind, sehen riesige Neubaublocks und Hochhäuser auf dem Areal vor. Hier wird die Identität, Typologie und der Maßstab der Stadt missachtet. Wozu wurden bei den Dialogwerkstätten hunderte von Zettelchen ausgefüllt, wo sich oft Frei- und Grünflächen gewünscht wurden sowie eine behutsame Weiterentwicklung des RAW? Und warum gilt der vorliegende Strukturplan nach Auffassung des Bezirksamtes plötzlich als nicht mehr verhandelbar, als “mit allen Verfahrensbeteiligten” abgestimmt? Es hat immer Kritik an der Megabaumasse gegeben, in jeder Form.
Die viel diskutierte „neue Beteiligungskultur“ suchte man beim RAW-Dialogverfahren vergebens. In den entscheidenden Gremien des Dialogverfahrens wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit geplant, als sei das RAW eine Brachfläche. Stadtteil- und Nutzervertreter waren nur schwach vertreten. Unter der erdrückenden Dominanz der Eigentümer und Architekten wagten die Stadtteilvertreter*innen nicht viel gegenzureden, auch aus Rücksicht der prekären Vertragssituation der Bestandsnutzer*innen. Die öffentlichen drei „Dialogwerkstätten“ machen den Eindruck eines Showprogrammes zur Gewöhnung an große bauliche Veränderungen, den Abriss großer Teile des RAW für Baublocks und Hochhäuser. Weil das Büro Urban Catalyst gleichzeitig Verfahrensträger und Entwurfsverfasser war, gab es keine neutrale Moderation, was ebenfalls sehr nachteilig war. Der bis zum Schluss geheime Strukturplan von Urban Catalyst wurde bei der letzten Dialogwerkstatt vorgestellt und gilt seitdem als beschlossen.
Bei der Folgeveranstaltung “1.Werkstattgespräch Schaffung und Gestaltung von Freiflächen auf dem RAW” am 16.10.2018 im Rathaus Kreuzberg durfte der Strukturplan nicht einmal mehr in Frage gestellt werden. Meine Präsentation wurde von Stadtrat Florian Schmidt unterbunden und im Redebeitrag wurde ich abgewürgt. Denn es sollte nur noch um die Restflächen zwischen den Baublocks gehen. Dazu haben die Eigentümer mit bunten Bildchen so getan, als würden die rund 180.000 m² Neubauflächen weder Autoverkehr auf das Gelände bringen, noch die Notwendigkeit für Feuerwehr-, Anlieferungs- und Stellplatzbereiche. Alles schick – totale Verarsche. Wäre man nicht dabei gewesen, könnte man das kaum glauben.
Die Legende von wirtschaftlichen Zwängen
Die Eigentümer geben vor, die riesigen Neubauten aus wirtschaftlichen Gründen zu benötigen, wenn (die wenigen) Teile des RAW erhalten werden sollen. Zudem brauche die Stadt Gewerbeflächen. Für die behaupteten wirtschaftlichen Zwänge gibt es keine Belege und es ist offenbar, dass es bei den riesigen Neubaublocks nur um maximale Gewinnerzielung geht. Zudem ist das Gelände mit der Kultur-, Sport- und Erholungsnutzung für den Stadtteil viel zu wichtig um ausgerechnet hier den Bedarf an Büro- und Gewerbeflächen decken zu wollen. Auf ein Wirtschaftlichkeitsgutachten, das der Bezirk auf öffentlichen Druck in Auftrag gegeben hat und welches wahrscheinlich belegen wird, dass die Eigentümer wirtschaftliche Zwänge dieser Größenordnung nur herbeireden, wartet die Öffentlichkeit vergeblich.
Nach meiner Erhebung der derzeitigen Mieteinnahmen kann man den Bereich von Kurth Immobilien als weitgehend kostendeckend einordnen. Ein behutsames Neubauvolumen ist wirtschaftlich zumutbar. Das kleine Grundstück der Eigentümer Mast+Trenkle (Badehaus, Berlin Strength, Khwan, Hotrod Tour) ist gewinnbringend. Warum auch hier riesige Blocks entstehen sollen und wertvoller öffentlicher Raum und historische Bausubstanz vernichtet wird, ist zumindest wirtschaftlich nicht begründbar. Auf dem östliche Bereich der International Campus AG findet eine rabiate Abriss-Spekulation auf teure Wohnappartements und CoWorking-Spaces statt. Dieses Vorgehen findet auf eigenes Risko statt.
Der Eigentümer des westlichen Zweidrittel des Areals, die Göttinger Kurth Immobilien GmbH, war beim Planungsverfahren 2016 noch mit einem Neubauvolumen von 60-70.000 m² zufrieden und hatte sogar eine Variante vorgestellt, in der das Astra und das Urban Spree erhalten blieb (Link zu meiner Untersuchung). Das war etwa die Hälfte der Baumasse, die jetzt als unverhandelbare Notwendigkeit im Raum steht (Artikel dazu).
Heute wird geplant, als wäre das RAW eine nutzlose Brache. So wird einfach mal das Astra abgerissen, das Urban Spree und der Suicide Circus, die schönen Hallen entlang der Skaterhalle und ein wesentlicher Teil der Skaterhalle selbst, der Bestand am Kletterturm-Biergarten. Der heutige Parkplatz, wo immer eine Freifläche gefordert und beschlossen war, wird mit Neubaublocks zugeknallt, entlang der Revaler Straße werden Blocks in das Denkmalensemble eingesetzt, die es völlig verunstalten und im östlichen Bereich reißt die International Campus AG einfach schon mal alles ab, was den Hochhausplänen im Wege steht… Das alles lässt der Bezirk geschehen, obwohl er die Planungshoheit besitzt.
So könnte das übersetzt in mein 3D-Modell einmal aussehen:
Es spricht wenig gegen einige Neubauten auf dem RAW-Gelände und es gibt Bereiche, wo dies möglich ist. Aber das vorgestellte Modell ist absurd! Ich komme bei den Flächenberechnungen auf sagenhafte 126.000 m² Neubauflächen allein für den Bereich der Kurth Immobilien. Das übertrifft sogar deren urspüngliche Maximalforderung und darf auf keinen Fall umgesetzt werden.
Die Initiative RAW Kulturensemble setzt sich aktuell für den Erlass einer Erhaltungssatzung für das RAW-Gelände ein. Städtebauliche Erhaltungsgebiete gibt es viele im Bezirk und das RAW ist wegen seiner besonderen Lage und Eigenart geeignet dafür. Als sinnvolle Planungsgrundlage müssten sich dann Neubauten in das Ensemble einfügen und weitere Abrisse könnten verhindert werden. Dafür werden Unterschriften gesammelt für einen Einwohnerantrag in die BVV. Link dazu HIER